„Seit 150 Jahren aktuell: Antisemitismus, Nahost und kein Ende“

Das SPME-Symposium
„Seit 150 Jahren aktuell: Antisemitismus, Nahost und kein Ende“

Von Michael Kaiser

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Das 10-jährige Bestehen der deutschen Sektion von SPME (Scholars for Peace in the Middle East) wurde in Berlin mit einem Symposium begangen. Diese vom Auswärtigen Amt unterstützte zweitägige Tagung (09. -10.12.2017), zu der sich über 70 Personen angemeldet hatten, fand in den Räumen des Zentralrates der Juden in Deutschland statt.

Dass das Tagungsmotto „Seit 150 Jahren aktuell: Antisemitismus, Nahost und kein Ende“ nicht nur manifest ist, sondern auch an Schärfe zunehmen wird, machten die antisemitischen Demonstrationen – gegen die wenige Tage zuvor von Präsident Trump öffentlich getätigte Erklärung, Jerusalem als Hauptstadt des Staates Israels anzuerkennen und die US-Botschaft nach Jerusalem verlegen zu wollen sowie die Weigerung einer Rückgabegarantie seitens der Deutschen Bundesregierung für die in israelischen Besitz befindlichen Qumran-Rollen, die im Rahmen einer Ausstellung im Frankfurter Bibelmuseum gezeigt werden sollten – unmissverständlich deutlich.  Nach Begrüßungsansprachen durch den Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, Herrn RA Daniel Botmann, sowie Dr. Elvira Grözinger, Vorsitzende der dt. Sektion des SPME als auch Prof. Dr. Richard Landes, Sekretär des SPME, sprach der neue israelische Botschafter in Deutschland, seine Exzellenz, Herr Jeremy Issacharoff. Anschließend hielt Dr. Asaf Romirowsky, Direktor des SPME (USA), den Hauptvortrag (Key Lecture) über „The Movement and the Middle East Conflict“.

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion zum Thema „Situation in Deutschland heute aus der Sicht von Journalisten“ näherten sich die Pressevertreter des Cicero, Tagesspiegels sowie der Jüdischen Allgemeinen, der Jüdischen Rundschau und der Jerusalem Post der  durch jeweils unterschiedlichen Perspektiven diesem Gegenstand an und stellten ihre vorab eingereichten Thesen zur Diskussion.

Simon Aktsinat von der Jüdischen Rundschau sieht derzeit seine Zeitung als das einzig unabhängige jüdische und pro-israelische Informationsmedium in Deutschland. Viele Journalisten – so Aktsinat – verteidigen die Regierung und ihre Politik fast automatisch gegen ihre Kritiker, statt sie zu hinterfragen; somit werden sie ihrem demokratischen Auftrag der Vierten Gewalt nicht gerecht. Deshalb sei die Jüdische Rundschau als Fünfte Macht, als publikative Gewalt notwendig.

Michael Wuliger von der Jüdischen Allgemeine, meinte in seinem ironischen Beitrag, dass Antisemitismus und Antizionismus in Deutschland – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie z. B. Großbritannien, Frankreich, Ungarn oder Schweden – nicht so gravierend ausgeprägt seien. „Aber die Sicherheitspolitik des jüdischen Staates stehe“, so Wuliger, ständig unter Beschuss. Und natürlich pflegt Deutschland gleichzeitig seine politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran“.

Dr. Alexander Grau (Cicero) thematisierte das besondere romantische Verhältnis der Deutschen zu der arabischen Welt. Um den modernen Antisemitismus erfassen zu können, müsse man wissen – so Dr. Grau – was die Deutschen sich unter dem „Mittleren Osten“ vorstellen, welche Konnotationen sie mit dem Terminus „Naher Osten“ verbinden. Dieser „Orient“ habe nichts mit dem wirklichen „Nahen Osten“ zu tun, er sei nicht Geographie, sondern sei tief in der deutschen Seele verwurzelt. Wenn wir in Deutschland von der Region „Mittlerer Osten“ sprächen, dann spräche der Deutsche also nicht über den Libanon oder Israel, Syrien oder den Irak, sondern er spräche tatsächlich von sich. Und die Völker dieser Gegend seien alles das, was dem Deutschen lieb wäre, was ihm aber verwehrt sei. Dort sei man antiwestlich, gegen Globalisierung, Aufklärung und Zivilisation nur eine Nation verdirbt diese orientalische Idylle, nämlich Israel.

Malte Lehming (Tagesspiegel) erwähnte die politischen Ereignisse aus jüngerer Zeit, wonach sich in einer in Deutschland weitverbreiteten Wahrnehmung der „Westen“ in einem Kampf zwischen liberalen und illiberalen Demokratien befände, und zwar zum einen mit sich selbst und zum anderen gegenüber ausländischen Kontrahenten. Für Lehming lässt sich der Illiberalismus an folgenden Akteuren festmachen: Wladimir Putin, Donald Trump und Viktor Orbán. Durch das Aufkommen rechtsextremer Parteien in ganz Europa, von denen einige fremdenfeindlich und antisemitisch eingestellt seien, ergäbe sich in der Dichotomie „liberal“ und „illiberal“ das Problem für Israel und den Juden in Europa und in den USA, ob sie sich als Partner westlich liberaler Demokratien positionieren könnten.

Für Benjamin Weinthal ( Jerusalem Post) gliedert sich der gegenwärtige Antisemitismus (moderner Judenhass) in Deutschland in folgende Bereiche auf: Die BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestition, Sanktionen), die sich explizit gegen den jüdischen Staat richtet und durch den schiitischen Dschihadismus der Hisbollah, den sunnitischen Dschihadismus und das iranische Regime, dem obersten staatlichen Förderer des Terrorismus, protegiert wird. Dabei spielten vor allem die deutsch-katarischen und die deutsch-türkischen Beziehungen eine große Rolle. Für Weinthal wird der Zustrom von Flüchtlingen und Migranten aus Syrien und anderen muslimisch geprägten Ländern zu einem enormen Anstieg des Antisemitismus in Deutschland führen.

Der nächste Tag (10.12.) stand im Zeichen folgender drei Panels: „Israel und Deutschland“, „Zionismus und Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart“ und „Darstellung Israels in Schulbüchern“.

Michaela Engelmeier (MdB a. D., Mitglied des Bundesvorstandes der SPD) sprach über „Die Deutsch-israelische Beziehungen aus deutscher Sicht“.  In ihrem weit ausgedehnten Vortrag spannte die Politikerin einen Bogen von dem Beginn der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel bis zur Gegenwart. Auch regte sie die Gründung eines deutsch-israelischen Jugendwerkes – in Anlehnung an das Deutsch-Französische Jugendwerk – an. Nicht nur ein gegenseitiges Interesse und Kennenlernen solle damit gefördert werden, sondern der Jugend als Brückenbauer solle die Kultur des jeweiligen anderen Landes nähergebracht werden und damit ein gegenseitiges tieferes Verständnis einhergehen. Darüber hinaus schloss sie sich der parteiübergreifenden Forderung nach Konstituierung eines bundesdeutschen Antisemitismusbeauftragten an.

Thematisch konnte der nächste Referent, Dr. Mordechay Lewy, ehemaliger Gesandter Israels in Deutschland und Botschafter am Heiligen Stuhl, mit seinem Thema „Rückblick. Von den Anfängen bis heute. 50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen“ an seine Vorrednerin anknüpfen. Lewy schilderte die Entwicklung des israelisch-deutschen Verhältnisses aus seiner persönlichen Perspektive und erzählte dabei von in der Öffentlichkeit unbekannt gebliebenen zum Teil recht amüsanten Abläufen hinter den politischen Kulissen der Bonner Republik während der Regierungszeit von Helmuth Kohl und den diplomatischen Annäherungen zwischen der DDR und Israel Anfang der 1990er-Jahre.

In seinem Vortrag über die „Zukunft der deutsch-israelischen Beziehungen. Ausblick“ erzählte Rogel Rachman, Gesandter-Botschaftsrat, Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der israelischen Botschaft in Berlin, u. a. von einem Treffen einer größeren Delegation künftiger Leaderships in Israel, auf deren Programm u. a. auch ein gemeinsames Abendessen mit einem bekannten israelkritischen Schriftsteller stand. Das verdeutliche, so Rachman, dass in Israel eine pluralistische Meinungsvielfalt gelebt werde.

Im 2. Panel ging es um den „Zionismus und Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart“.

Den Auftakt dazu bildete der Vortrag von Prof. Dr. Karl E. Grözinger (em. Universität Potsdam) über „Die Hoffnung: Die zionistische Idee in Geschichte und Gegenwart“. Der Judenhass kleide sich, so Prof. Grözinger, in die jeweilige Maske der Zeit. Dieser Aspekt findet sich schon bei Theodor Herzl in seinem Der Judenstaat ausformuliert. Nachdem der religiös gekleidete Antisemitismus durch Säkularisierungsprozesse obsolet geworden war, trat an seiner Stelle der politische Antisemitismus, eine Israel bezogene Feindlichkeit. Grözinger forderte, dass wir den Antisemitismus nicht mehr nur auf die klassischen Definitionen beschränken, sondern uns einer ständig wechselnden Vielfalt der antisemitischen Phänomene und ihrer Argumentationsfelder bewusstwerden. So ließe sich die obsessive Kritik an Israel – insbesondere in Europa und in der BDS-Bewegung – und vielleicht sogar die jüngsten skandalösen Vorfälle um Qumran- und die Jerusalem-Erklärung im Lichte der frühen zionistischen Erfahrungen als Antisemitismus interpretieren.

Prof. Dr. Monika Schwarz-Friesel (TU Berlin) sprach anknüpfend daran über „Den israelbezogenen Antisemitismus“. Anhand empirischer Untersuchungen über den aktuellen israelbezogenen Antisemitismus in Deutschland konnte Prof. Schwarz-Friesel nachweisen, dass es in den letzten Jahren einen starken Anstieg des Verbalantisemitismus gegeben habe. Sie stützte ihre Ausführungen mit diversen Beispielen, wie sich das gebildete deutsche Bürgertum (z. B. Akademiker, Hochschullehrer, Lehrer an staatlichen Schulen) über Israel – nicht nur gegenüber der Israelischen Botschaft in Berlin sowie dem Zentralrat der Juden – sondern wie diese sich auch in den verschiedensten Kanälen der sozialen Netzwerke (z. B. Facebook, Twitter) zu Israel äußerten. Es hat sich daran nichts geändert, dass die gebildete Schicht in unserem Land den Antisemitismus lanciert. Der Antisemitismus befinde sich als ein weltweites Phänomen auf dem Vormarsch. Die internationale Haltung gegenüber dem jüdischen Staat sei überall äußerst feindselig und aggressiv ausgeprägt. Diese Feindseligkeit, im kollektiven Gedächtnis verankert, basiere auf judeophoben Stereotypen  (z.B.„Kindermörder“ ) und schöpft aus der uralten Voreingenommenheit, bloß im neuen Gewand mit wechselnden Farben wie ein Chamäleon. Es gebe virulente, hassbedingte anti-israelische Kampagnen (etwa „Apartheidstaat“) rechter wie linker Provenienz, die behaupten, kritisch gegenüber Israel eingestellt zu sein, aber tatsächlich basieren sie auf Feindseligkeit gegenüber Juden und unterschieden sich nicht von den dämonisierenden verbalen Strategien der Rechtsextremisten und Neonazis.

Die Judeophobie erweist sich als resistent gegenüber Bildung, verschließe sich rationalen Argumenten und sei für Fakten nicht zugänglich, so die Referentin. Das Resultat ihrer groß angelegten Längsschnittstudie über die gegenwärtigen sprachlichen antisemitischen Manifestationen mache deutlich, dass die Kontinuität und Beharrlichkeit der uralten Judenfeindlichkeit, ihrer Stereotypen, auf denen sie beruhen, weiterhin virulent in den Köpfen fest verankert seien.

Der letzte Vortrag dieses Panels von Prof. Dr. Roland Hornung (em. OTH Regensburg) war „Dem Israelbild in der deutschen Presse“ gewidmet. Sein Fazit: Das Israelbild in der deutschen Presse sei besser als vermutet, was an den mangelnden Kenntnissen der Journalisten/Redakteure über Israel liege und da sich die Zeitungsartikel oft an der vermeintlichen Erwartungshaltung ihrer Leser orientieren, liege es an den Letzteren, dass das Image Israels in der deutschen Presse besser sein könnte, was wiederum für israelfreundliche Zeitungsleser die Chance böte, hier erfolgreich intervenieren zu können, aber auch zustimmend bejahende Reaktionen an die Zeitungsredaktionen können hier als positiver Verstärker fungieren.

Im 3. Panel zur „Darstellung Israels in Schulbüchern“ referierten die Mitglieder der seit mehreren Jahren aktiven SPME-Schulbuch-AG, Dr. Klaus Thörner und Cordula Behrens, zu dem Thema „Das Israelbild in deutschen Schulen und Schulbüchern“, während Jörg Rensmann  das „Das Juden- und Israelbild in den palästinensischen Schulbüchern“ vorstellte. Behrens berichtete von ihren Erfahrungen, die sie als Lehrerin im niedersächsischen Schuldienst mit Antisemitismus und Israelfeindlichkeit gemacht habe und sprach die Problematik an deutschen Schulen an: Können Lehrkräfte auf gut recherchierte, ausgewogene und hilfreiche Lehrbücher zurückgreifen oder erweisen Klaus Thörner und Behrens, die beiden Autoren der Broschüre Bildung von Vorurteilen. Das Bild von Israel in deutschen Schulen und Lehrbüchern sowie Pädagogik des Ressentiments) führten dazu mehrfach drastische Beispiele an.

Jörg Rensmann wies auf die Darstellung von Israel und Juden in palästinensischen Schulbüchern hin. Schulbücher seien ein bedeutender – vielleicht der wichtigste – Indikator für die Werte, die eine Gesellschaft an ihre nächste Generation weitergeben möchte, so Rensmann denn sie vermitteln Ideale und Wissen in Bezug auf die eigene und die fremden Kulturen. Das geschieht durch die Darstellung sozialer und kultureller Beziehungen. Diese Bücher helfen dabei, ein anerkanntes Bild der Gemeinschaft widerzuspiegeln, in der die Kinder hineinwachsen.

Das Schulmaterial in Gaza und im Westjordanland wird von der EU und dem UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten) finanziert. Die Juden kommen als Individuen nicht vor, sondern nur als Kollektiv, so der einhellige Tenor der auf dem Podium vertretenen Schulbuchexperten. Eine Analyse palästinensischer Schulbücher der Klassen 1 bis 9 ergab, dass die Bildungsinhalte kein konstruktives Verständnis von Israelis und Palästinensern fördern, sondern im Gegenteil propagieren sie ein Klima der Gewalt. So erhalten palästinensische Schüler keine ausgewogenen Informationen über jüdische Kultur, Religion oder Geschichte oder über die moderne israelische Gesellschaft. Die vorherrschenden Gründe für die jüdische Einwanderung nach Palästina – nämlich Antisemitismus und Shoah – werden an keiner Stelle erwähnt. In den untersuchten Lehrbüchern werden Juden gänzlich negativ und oft dämonisiert dargestellt. Juden werden selten individualisiert, sondern in ein Stereotyp oder unter das Konzept des Zionismus subsumiert. Jüdische und israelische Orte sowie der Staat Israel als Ganzes sind nicht auf den in den Lehrbüchern abgedruckten Landkarten zu finden. Die Existenz des Staates Israel wird abgelehnt und das territoriale Gebiet von Israel – einschließlich der Westbank und Gaza – als ‚Palästina’ bezeichnet.

Anhand der beiden Broschüren mit den jeweiligen Titeln Bildung für die nächste Generation. Eine Korrektur palästinensischer Schulbücher als Voraussetzung für eine Verständigung (hg. MFFB Berlin) und Pädagogik des Ressentiments. Israelbild in deutschen Schulen und Schulbüchern (hg. DIG und SPME) konnten sich die Teilnehmer selbst ein Bild von den in den palästinensischen Schulbüchern Dargestelltem machen. Die Veranstaltungsteilnehmer waren fassungslos über den Inhalt der palästinensischen Schulbücher.

Levi Salomon (Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, JFDA) berichtete über die an den Tagen des Symposiums antiisraelischen Demonstrationen in Berlin. Er zeigte dazu aktuelle Videoaufnahmen von dieser angemeldeten und genehmigten Kundgebung radikaler palästinensischer Organisationen, auf der überwiegend Frauen mit ihren Kindern zu sehen sind, und auf der sowohl israelische Flaggen als auch mit Davidstern bemalte Tücher verbrannt worden sind. Dazu wurden israelfeindliche Parolen gebrüllt und in einer Szene erhob ein Mann seinen Arm zum Hitlergruß. Den ca. 2.000 radikalisierten Israelhassern standen ca. 450 Polizisten gegenüber, die aber nicht eingegriffen haben, obwohl gegen erteilte Auflagen, wie z. B. dem Vermummungsverbot, gleich mehrmals verstoßen wurde.

Die Ängste und der Zorn, die diese Filmaufnahmen erweckten, wurden von allen Teilnehmern im Raum geteilt. Diese Demonstration, an einem der symbolträchtigsten Plätze Deutschlands und nur wenige Meter von dem „Denkmal der ermordeten Juden“ entfernt, stellt einen neuen Höhepunkt der Israelfeindlichkeit in unserem Land dar. Daran anknüpfend forderte Cordula Behrens die Zuhörer auf, sich Gedanken darüber zu machen, wie Antisemitismus und Israelfeindlichkeit bei ausgeprägten antiisraelischen Ressentiments im Unterricht thematisiert werden könnte. Bei allen bestand ein Konsens darüber, dass die engagierte und ausschließlich ehrenamtliche Arbeit des SPME auf akademischen und Bildungssektor weiterhin dringend notwendig und unterstützungswert ist.